Den Eindruck, dass in der evangelischen Kirche Frauen durchaus eine mit Männern gleichberechtigte, prägende Rolle spielen, könnte man angesichts der kürzlich erwähnten Jubiläen und der Beispiele in der EKHN durchaus gewinnen. Aber: Es gibt Nachrichten aus Europa, die nachdenklich stimmen. Pfarrerin Dr. Katrin Hildenbrand war kürzlich auf dem Pfarrerinnen-Tag der EKHN in Frankfurt (siehe Foto). Sie fasst die derzeitige Situation wie folgt zusammen:
"Für die Meisten heute ein selbstverständliches Bild in der evangelischen Kirche. In den 50er und zu Beginn der 60er Jahre wurde in den meisten Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Frauenordination eingeführt. Die letzte Gliedkirche der EKD allerdings tatsächlich erst im Jahr 1991. Dennoch: Seit mehr als 25 Jahren sind Pfarrerinnen und Pfarrer in der gesamten EKD formal gleichgestellt.
Der Weg von Frauen zur Gleichstellung in der Evangelischen Kirche war lang und steinig. Dabei hatten schon im Zweiten Weltkrieg Theologinnen aus einem „Notstand" heraus in erheblichem Umfang den Gemeindedienst an der Stelle von einberufenen Pfarrern versehen. Dies gab nach dem Krieg den Anstoß für eine sorgfältige Prüfung des Zeugnisses der Bibel in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Ordination von Frauen. Dabei wurde deutlich, dass es nach evangelischem Verständnis in geistlicher Hinsicht keinen Unterschied zwischen Frau und Mann geben kann. Alle Christen sind in gleicher Weise durch die Taufe zu Gliedern der Kirche und zur Priesterschaft berufen (Gal 3, 28: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.").
In den meisten evangelischen Kirchen weltweit ist seither viel passiert. Neulich haben wir an dieser Stelle an bedeutende Frauen der Evangelischen Kirche erinnert. 1988 wurde mit der Wahl von Helga Trösken zur Pröpstin in Frankfurt die erste Frau überhaupt in Deutschland in ein bischöfliches Amt berufen. Vor 25 Jahren dann wurde in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis (Michel) Kirchengeschichte geschrieben: Am 4. April 1992 wählte die Synode der damaligen nordelbischen Kirche die 47-jährige Theologin Maria Jepsen zur weltweit ersten evangelisch-lutherischen Bischöfin. "Ich verstehe meine Wahl als ermutigendes Zeichen für alle Frauen und Männer, aus alten patriarchalischen Strukturen auszubrechen und Kirche insgesamt offener zu gestalten", erklärte die Bischöfin damals.
Dieser Wunsch hat sich allerdings nicht bewahrheitet: In Deutschland erweist sich die Gleichstellung der Geschlechter in der evangelischen Kirche als ein langer Prozess, der bei weitem nicht abgeschlossen ist. In den letzten Jahrzehnten konnte die ungleiche Repräsentanz der Geschlechter nur abgemildert, aber noch nicht behoben werden. In den zwanzig Gliedkirchen der EKD gibt es heute gerade einmal drei weibliche leitende Geistliche. Allerdings sieht es anderswo noch schlechter aus – dies war der Grund für dieses auf den ersten Blick nette Foto vom diesjährigen Pfarrerinnentag der EKHN in Frankfurt. Es hat einen ernsten Hintergrund: Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands hat im Juni 2016 in Riga mit Dreiviertel-Mehrheit die Abschaffung (!) der Frauenordination beschlossen. Diese war dort vor vier Jahrzehnten zu Sowjet-Zeiten eingeführt, aber auf Wunsch des konservativen Bischofs Vanags schon seit 1993 nicht mehr praktiziert worden. Auch in Polen gibt es ähnliche Tendenzen. Ein enormer Rückschritt für die Kirchen, der auch die ökumenischen Beziehungen der EKD innerhalb Europas belastet. Das Bild vieler ordinierter Schwestern im Talar soll Solidarität und Protest zugleich zum Ausdruck bringen.
Petra Bosse-Huber, Auslandsbischöfin der EKD, meint dazu: „Die evangelische Kirche braucht noch viel mehr kluge Analytikerinnen, entschlusskräftige Visionärinnen und biblisch geerdete Zukunftsdenkerinnen, eben starke Frauen - gerade für die erste Reihe. Nur so machen wir mit dem Erbe der Reformation, 500 Jahre später, wirklich ernst.“ (Quelle: evangelisch.de EKD-Auslandsbischöfin: Dramatischer Frauenmangel an Kirchenspitze)"